The Former North

(English Version)




Wait. This could be relevant. When storms break free and the strongest currents burst the banks, familiar tenacities recede. To find support and assume a position that allows, in equal measure, for stability and mobility, becomes even more important. Turbulences are inevitable when taking up a position that runs counter to the current’s direction – which in itself is certainly difficult enough!

Of course the artist’s paintbrush, this magic wand that has been passed on throughout the centuries, is, technically, also a mundane instrument that helps the artists to establish a firm foundation within such an aslant position. When grids are torn apart, this tool chaperones the finding of dimensions and directions, assisting artists who are quickly trying to find an individual, tailor-made replacement.

So when the East, for example, is displaced and no longer the East but suddenly the North and when no compass needle can be adjusted, artists need to develop their own position – calmly, yet with resolution. That way they actually might even find themselves in a firm position, enabling them to give directions to unoriented passers-by and those who sway.

Those who choose to dedicate themselves to painting must feel unequivocally called to art because it takes decades in this profession before benchmarks are set. In Leipzig, generations of artists retained the belief that painting is a life decision and not a mere conversational medium that can be activated when necessary. This conviction was perpetuated even in times when strong easterly winds polished the university’s façade and in times when the former West formed the North Pole for most of the studios’ compass needles.

In Ettlingen, the five students of my master class as well as two guest students are now given the opportunity to provide an insight into their works – works that are arranged within settings that are not moulded by any dominant direction. They have the freedom to express themselves, to formulate what grows from within. My students are free to locate their studios in the currents in whatever manner suits them best. Notably, early swirls are already developing!




Neo Rauch, 2011






Der Ehemalige Norden

(German Version)




Halt. Darum könnte es gehen. Wenn die Stürme aus den Wassergläsern brechen und die Hauptströmungen über die Ufer treten, dann schwinden die landläufigen Verlässlichkeiten, und es gilt Halt zu finden und dabei eine Haltung einzuüben, die Verankerung und Bewegungsfreiheit gleichermaßen gewährleistet. Wirbelbildungen sind unvermeidlich, wenn man sich quer zur Fließrichtung verankert, aber das will erst einmal geschafft sein!

Der Malerpinsel, dieser durch die Jahrhunderte weitergereichte Zauberstab ist natürlich auch ein profanes Werkzeug, mit dessen Hilfe sich in einer solchen Lage Grundsicherung schaffen lässt. Auch dient er dem Maß- und Peilung nehmen, wenn die Koordinatennetze reißen und schnellstens ein Ersatzmuster nach individuellem Zuschnitt geschaffen werden muss.

Wenn also beispielsweise der ehemalige Osten durch Globalisierungsverrückungen über Nacht zum Norden wird, und sich keine Magnetnadel dieser Welt auf diese Situation umstimmen lässt, dann kommt es in den Malerateliers darauf an, mit ruhiger Entschlossenheit die eigene Position auszubauen, und dadurch womöglich selbst zum Orientierungspunkt für Vorübergehende und Schwankende zu werden.

Wer sich also heute der Malerei verschreibt, der sollte dazu berufen sein, denn man braucht in diesem Metier Jahrzehnte, um seine Maßstäbe in den Grund zu treiben. Im – von Ettlingen aus gesehen – nordöstlich gelegenen Leipzig hielt man seit Generationen an der Vorstellung fest, dass die Malerei eine Lebensentscheidung und kein bei Bedarf zu aktivierendes Diskursmedium ist. Dies hielt man in Zeiten aufrecht, in denen ein starker Ostwind die Fassade des Schulgebäudes The Former North Der Ehemalige Norden beschliff, und auch in Zeiten, in denen der ehemalige Westen der Nordpol für die meisten Atelierkompassnadeln war.

Im Kunstverein Ettlingen haben nun die fünf Studierenden meiner Meisterklasse sowie zwei Gasthörerinnen Gelegenheit, Einblick in ihr Schaffen zu geben, das sich in Verhältnissen zu organisieren hat, die durch keine Richtungsdominanz geprägt sind. Sie haben die Freiheit, sich von innen her zu formulieren und ihre Werkstätten dort in die Strömung zu stellen, wo es ihnen entspricht. Erste Wirbel bilden sich bereits!




Neo Rauch, 2011